Frankfurt liest ein Buch 2023

28. April 2023: Im Gespräch mit der ehemaligen hr2 kultur-Redakteurin Ruth Fühner stellte Deniz Ohde ihren »bestürzender Bildungsroman« (FAZ) „Streulicht“ vor.

Deniz Ohde (Mitte) im Gespräch mit Ruth Fühner und Brigitte Dinger.

In ihrem gefeierten Debütroman erkundet Deniz Ohde die Sollbruchstellen im Leben der Erzählerin und erzählt von den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit und dem Versuch, sich von der verinnerlichten Abwertung zu befreien. Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminium­bleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis der Hausrat aus allen Schränken quoll. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer west­deutschen Arbeiterwohnung erstickte, ehe sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst – zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.